Kassel
St. Elisabeth
St. Elisabeth in Kassel / kath.
offen
Begleitet von meiner Frau betreten wir diese Kirche, die direkt an den zentralen Documenta-Gebäuden liegt, aber ein selbständiges Kulturprogramm kuratiert. Außen ins Auge fällt sofort die weithin sichtbare Männer-Figur mit ausgestreckten Armen in Kreuzform auf einer goldenen Kugel balancierend im Glockenturm. Ein künstlerisches Zeichen, das jeder für sich interpretieren mag - die Documenta-Chefin 2012 Carolyn Christov-Bakargiev hätte sie gerne verhindert.
Die schlichte Halle ist wieder möbliert. Im vergangenen Jahr haben wir hier während der 15. Documenta auf einem Kunstrasen auf dem Boden liegen können, die Bicke in den imaginären Himmel gerichtet. Aus einer großen Schale in der Mitte durfte sich jeder eine wunderbare Austern-Perle aus reinem Perlmutt mitnehmen. Draußen erinnert immer noch die Wandaufschrift an diese Installation: My Precious Pearl From Paradise.
Jetzt ist niemand da - denken wir. Denn von irgenwo hören wir rituelle Gebete. Sie kommen aus einer Seitenkapelle, in der eine kleine Messe abgehalten wird. Unsichtbar, jedoch ein spiritueller Geist markiert den Anspruch auf diesen Raum. Wir genießen die rituelle Langatmigkeit, gehen aber nach einiger Zeit, um später wieder zu kommen.
Inzwischen ist der Raum ganz frei. Ich setze mich auf einen der gepolsterten Priesterhocker und fühle mich ebenso frei, den Raum zu spielen: Konstruktivismus ist das Thema. Die rechteckige Halle mit ihrem flachen Satteldach will sich befreien von alten Gestaltungsvorstellungen der göttlichen Macht und Herrlichkeit. Hier wird zurückgebeamt auf einfache Grundstrukturen, in denen der Mensch sein Potenzial konstruieren darf.
So erfinde ich Töne, Linien, Konstrukte auf musikalischer Ebene und bin dankbar für die Animation dieses Raumes.
Eine Familie - möglicherweise Ukrainer - betritt die Kirche, hört eine Weile zu, zündet Kerzen an und geht wieder. Vielleicht waren ihnen meine musikalischen Gedanken zu strange.
Auch in der Nebenkapelle lasse ich mich inspirieren. Rituelle, tiefe Klänge, Gemurmel, kommt dabei heraus und schwappt subtil in die großen Kirchenhalle über.